Leserinbrief zum Leitartikel «Im Morast der Moral»,
Thomas Fuster, Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom Samstag, 2.11.2019
Wohlstand ist nicht Immer-mehr-Haben. So kann stetes Wachstum und maximaler Gewinn auch keinen Wohlstand erzeugen. Die Ethik der Bibel empfiehlt dem Menschen, der alles hat, um des einen Seins willen das Eigentum zu kapitalisieren und zu verteilen (Markus 10, 21+22).
Jesus sagt zum reichen Menschen: «Eines fehlt dir. Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir!» Der aber war entsetzt über dieses Wort und ging traurig fort; denn er hatte viele Güter.
Wohlstand erzeugt Orientierungslosigkeit. Denn wozu soll man nach mehr streben, wenn man keinen Mangel hat? Dieses Unbehagen führte die Nachkriegsgenerationen in die Jugendrevolten der 1970er und 1980er. Heute haben wir Kinderrevolten. Die Kreativität und Expertise derjenigen der Nachkriegs-Generation, die sich nicht korrumpieren liessen (meist Frauen), werden hingegen von der Wirtschaft mit Unterstützung des Staates in einen lebensleeren Zwischenraum ausgesteuert oder pensioniert.
Wir müssen nicht ins Ausland schielen: Ein wirtschaftshöriger Staat ist repressiv. Demokratie verkommt zum Feigenblatt. Unserer Politik aller Couleur fehlt die Verantwortung für die Würde des Individuums. Die Verantwortung der Manager aber ist die Würde der Arbeit (Karl Barth)! Eine Arbeit, die nicht auf Beschaffung für das menschliche Dasein abzielt, sondern soziale Gerechtigkeit, Natur und Menschlichkeit auf dem Altar des Kapitalismus opfert, hat ausgedient.
Die Geschichte vom gerissenen Verwalter,
Zürcher Bibel, Lukas 16, 1-9
Und zu den Jüngern sprach Jesus: Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter. Der wurde bei ihm verklagt, er verschleudere sein Vermögen. Da rief er ihn zu sich und sagte: Was höre ich da über dich? Leg die Schlussabrechnung vor, denn du kannst nicht länger Verwalter sein! Der Verwalter aber sagte sich: Was soll ich tun, da mein Herr mir die Verwaltung wegnimmt? Zu graben bin ich nicht stark genug, und zu betteln schäme ich mich. Ich weiss, was ich tun werde, damit sie mich, wenn ich als Verwalter abgesetzt bin, in ihre Häuser aufnehmen.
Und er rief die Schuldner seines Herrn, einen nach dem andern, zu sich und sagte zum ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Er aber sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib schnell fünfzig! Darauf sagte er zum zweiten: Und du, wie viel bist du schuldig? Der sagte: Hundert Sack Weizen. Er sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Ja, die Söhne dieser Welt sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Söhne des Lichts! Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit man euch, wenn er ausgeht, aufnimmt in die ewigen Wohnungen.
Und die Moral der Geschichte?
Kommentar schreiben