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DIE LUST AM MASKE TRAGEN

Hinter der aus zwei Masken zusammengeklebten
Sängerinmaske singen
und dazu noch mit den Augen lächeln
ist ganz schön schwer.
Ich bleibe dran...

Jetzt ist die Zeit, sich zu outen, das wahre Gesicht zu zeigen: Maskentragpflicht. Blümchen oder schwarz, sterilblau oder weiss. Eine Frau schneidert sich ihre Kleider selber – und die Masken dazu aus dem selben Stoff: «So macht Maske tragen Spass», meint sie. Ich male meine inneren Bilder auf meine Masken – für euch da draussen, ihr Leute. Nehme kein Blatt vor den Mund, dafür aber die beredte Maske.

 

Auch wenn sie dein Gesicht verbirgt, die Maske gibt deine Augen preis, in die ich gern sehen möchte. Ich möchte, dass du mich wahrnimmst, nicht nur, um Abstand zu halten. Sondern dass auch du mir in die Augen siehst, damit ich dich anlächeln kann. Denn zum Lächeln braucht es nicht nur zwei Muskeln an den Mundwinkeln. Zum echten Lächeln aus den Augen weitet sich unser ganzes Gesicht. Und unsere Augen beginnen zu leuchten. Dann weiss ich – wir sind Menschen, die liebenswert sind. 

 

Gruseln tuts mir vor Nasen, die über Masken hängen. Möglichst noch mit Nasenhaaren und einem Nasetröpfli. Da hat jemand etwas nicht verstanden und gefährdet damit sich selbst und andere. Das Atmen geht schwerer mit Hygienemaske? Gut so: Atmen mit Widerstand zwingt, in den Bauch hinein zu atmen. Dein Körperempfinden gewinnt an Tiefe. Du fühlst dich freier und froher unter der Maske.

 

Du willst dich gar nicht freier fühlen? Willst lieber trötzeln wie ein Kleinkind, das sich immer noch als Mittelpunkt des Universums wähnt, worum sich alles dreht? Samstags in der engen Migros auf dem Dorf: Beim Gemüse stehen drei Leute mit drei Einkaufswagen und schwatzen. Es ist kein Durchkommen. Mit Abstand schon gar nicht. «Darf ich Sie bitten, draussen zu schwatzen? Ich möchte gern einkaufen», sage ich. «Ich bin erwachsen und mündig, ich lasse mir nichts befehlen», bellt der Mann zurück. Ich muss schmunzeln: Gerade hat er sich als unreifen Menschen geoutet, der noch in der Kleinkindphase verhaftet ist. Ich ärgere mich aber auch: Solche Menschen sind gemeingefährlich – gefährlich für die Allgemeinheit.

 

Man muss die Corona-Regeln nicht verstehen. Man muss schon gar nicht damit einverstanden sein. Aber man muss sie einhalten – um der Regeln willen, um der Allgemeinheit willen. Das kann man jedem Kind und jedem Kindskopf beibringen. Denn mit den Regeln geben wir einander die Rahmenbedingungen, uns kreativ auf sie einzulassen und damit unsere Freiheit zu wahren. Mit Kreativität meine ich nicht, die Nase raushängen zu lassen oder die Maske dekorativ am Arm oder weniger charmant am Kinn zu tragen. Auch nicht, die Maske zwar zu tragen, dafür aber die Abstandsregeln nicht einzuhalten. Und die Kinder, die als bevorzugte Corona-Virus-Überträger bis zum Alter von 12 Jahren keine Maske tragen müssen, anzuweisen, im Supermarkt den Mund zu halten, oder aber sie zu Hause zu lassen.

 

Zum Singen kann frau keine Maske tragen. Sowie man den Mund zwei Finger breit öffnet, verrutscht die Maske. Gerade wurde aber der zweite Lockdown verkündet. Auch wenn es die Politik nicht so nennen mag, um Reparationszahlungen an die Wirtschaft zu vermeiden, die gar nicht nötig sind – mit der neuerlichen Einschränkung bis hin zum Verbot kultureller Veranstaltungen haben wir einen Lockdown. Denn meine Alltagskultur ist beeinträchtigt. Also mein Menschsein.

Singen, nicht singen oder mit Maske singen? Das ist nun die Frage. Ich will singen, aber ohne Maske. Das darf ich nicht. Soll ich mich nun fügen und nicht singen? Soll ich trötzeln, demonstrieren gehen und andere gefährden? Das liegt unter meiner Würde.

 

Die Antwort ist einfach: Ich passe nicht mich an, sondern ich passe die Maske an. Ich klebe zwei Masken zusammen – die Sängerinmaske ist erfunden. Der Test in der Chorprobe zeigt: Die Doppelmaske funktioniert nicht nur einwandfrei, sie eröffnet meiner Stimme einen weiteren Resonanzraum. Ihr Klang bleibt bei mir, ich kann darauf reagieren, ihn gestalten, während die Stimmen und Klänge um mich herum zwar präsent, aber draussen bleiben. Ich glaube, ich will nie mehr ohne Maske singen!

 

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